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Klimaschutz

Entschuldigung für die Abwesenheit vom Unterricht

Eine Abwesenheit vom Unterricht muss entschuldigt werden, auch bei einem Fridays for Future-Streik. Aber das ist auch überhaupt kein Problem, denn ich habe eine gute Entschuldigung: Die Klimakatastrophe.
Hier ist der Brief, den ich meinen Lehrern geschrieben habe.

Sehr geehrte Lehrer*innen,

heute, am Freitag, den 25.03.2022 verlasse ich um etwa 10:25 Uhr den Unterricht, um in ***** zu einer Demonstration von Fridays for Future für mehr Klimaschutz zu gehen, die um 11:30 Uhr beginnt.
Ich verpasse deswegen eine Viertelstunde *****, eine Stunde ***** und eine Stunde *****. Bis zur Mittagsschule bin ich wieder zurück, an der ich regulär teilnehme. Den verpassten Unterricht werde ich selbstverständlich nachholen.

Der Protest, der am Freitag in über 300 Orten in Deutschland und weiteren hunderten Orten in der Welt stattfindet, trägt diesmal das Motto . Denn unser Umgang mit dem Klima muss an den Menschen und nicht an dem Profit ausgerichtet sein!

Im letzten August und Februar wurden die ersten beiden Teile des sechsen Sachstandsberichtes des IPCC veröffentlicht, die noch genauer den besorgniserregenden Zustand unseres Klimas und die Folgen dadurch beschreiben.

Sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die Bundesregierung haben sich zu dem 1,5-Grad-Ziel bekannt und dem 2-Grad-Ziel verpflichtet. Gemeint ist damit das Verhältnis von Ende des 21. Jahrhundert zum vorindustriellen Zeitalter.[1] Bisher haben wir allerdings bereits geschätzt 1,07 °C erreicht.[2]
Bis zum Ende des Jahrhunderts wird die Temperaturerhöhung je nach Modell zwischen 1,0 und 5,7 °C liegen, der Schätzwert beim mittleren Szenario beträgt 2,7 °C. Nur im günstigsten Szenario mit einer drastischen Treibhausgase-Reduktion könnte das 1,5 Grad-Ziel erreicht werden.[3]

Da sich die kumulativen CO2-Emissionen nahezu linear in Beziehung zur globalen Erwärmung bringen lassen,[4] bleibt noch ein gewisses CO2 -Budget, das bis zum Erreichen des 1,5-Grad-Zieles zur Verfügung steht und entsprechend der Einwohner auf die Staaten aufgeteilt wird.

Wie mangelhaft die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung sind, zeigte sich im April, als diese in einem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts sogar für (teilweise) verfassungswidrig erklärt wurden.[5] Anders als die Bundesregierung konnte das Gericht die wissenschaftlichen Tatsachen nicht ignorieren, dass die aktuelle Treibhausgasemissionsreduktion nicht ausreicht, um das Budget, das uns noch zur Verfügung steht, einzuhalten, ohne dass für die nächsten Generationen eine deutlich größere Freiheitseinschränkung entsteht.
Durch die Einführung des neuen Verfassungsprinzips der intertemporalen Freiheitssicherung[6] erkannte das Gericht ein entscheidendes Argument der Klimaschutzbewegung an: Aktuell sind die Folgen des Klimawandels in Europa schon deutlich spürbar, aber noch verhältnismäßig moderat. In Zukunft werden diese aber massiv sein, wie z. Bsp. den IPCC-Berichten zu entnehmen ist, auf die sich das BVerfG auch bezieht.[7]
Demnach kommen schon bei einer Erwärmung von 1,5 °C z. Bsp. 50-Jahres-Extremtemperaturereignisse fast 9-mal häufiger vor, also etwa alle 6 Jahre.[8]
Auch Hochwasser wie dies im Juli, das neben 184 Toten nach Schätzungen auch einen finanziellen Schaden von 33 Mrd. Euro verursachte, werden durch den Klimawandel deutlich häufiger. Schätzungsweise entstehen schon jetzt jedes Jahr weltweit weit über 100 Mrd. Euro Kosten durch den Klimawandel.[9]
Genauso wie bei den Generationen gibt es eine Verschiebung von Verursachern und Leittragenden vom globalen Norden in den globalen Süden. Ungefähr 3,3 bis 3,6 Mrd. Menschen leben unter Bedingungen, die sehr verwundbar gegenüber dem Klimawandel sind [10], 1,7 Mrd. Menschen wurden bereits durch wetterbedingte Katastrophen in Mitleidenschaft gezogen.[11]

Die Bundesregierung betonte auch nach dem Urteil noch, wie wichtig ihr Klimaschutz sei, was allerdings äußerst fragwürdig ist, nachdem ihre Maßnahmen nicht einmal mit dem Grundgesetz vereinbar waren, das, wie das Bundesverfassungsgericht betont, einen großen Spielraum gebe.[12] Wir haben also gerade einen Klimaschutz, der nur knapp über der Verfassungswidrigkeitsschwelle liegt.
Möglicherweise liegt er auch weiterhin teilweise darunter, da das Bundesverfassungsgericht die neuen Grundsätze lediglich auf das Bundes-Klimaschutzgesetz angewendet hat. Ob andere Gesetze diesen entsprechen, ist unklar.[13]
Es darf nicht weiter wie so oft Sache von klagenden Privatpersonen und Umweltschutzorganisationen, dafür zu sorgen, dass die Gesetze wenigstens mit der Verfassung vereinbar sind!

In diesen Tagen wird auf der 56. IPCC-Plenarsitzung der dritte Teil des Berichtes verabschiedet, der uns hoffentlich besser verstehen lässt, wie wir den Klimawandel bekämpfen können.[14] Es ist allerdings nicht so, dass dies nicht bekannt ist. Wir stehen dem Klimawandel nicht ohne Möglichkeiten entgegen, tatsächlich sind diese teilweise gut erforscht und müssen lediglich umgesetzt werden.

Es ist einfach zu sagen, man hätte die aktuellen Probleme mit russischem Gas vorhergesehen und ja schon immer gesagt, dass man daraus aussteigen solle. Tatsächlich ist es aber so, dass Energiesouveränität und Klimaschutz zusammenhängen: Erneuerbare Energien sind nicht zufällig unabhängig von Geopolitik, denn sie nutzten nicht an bestimmten Orten zufällig vorkommende Rohstoffe, sondern Energie, die überall (also nicht nur in Russland) und immer (also nicht nur solange, bis wir es verbraucht haben) verfügbar ist.
Die Abhängigkeit von Russland aufgrund seines Gases wurde in den letzten Jahren auch aus der Klimaschutzbewegung immer wieder vorgebracht und zeigt sich jetzt mit voller Wucht.
Zwar bestreitet das Problem jetzt niemand mehr, allerdings ist es durchaus nachvollziehbar, dass wir fünf Jahre für den Ersatz brauchen[15], denn Energie ist ein nachhaltiges Problem. Wir können unsere Energieversorgung nicht in kurzer Zeit umstellen und noch viel weniger in kurzer Zeit Klimaentwicklungen entgegenwirken. Das zeigt nochmal deutlich, dass wir jetzt handeln müssen, um den Klimawandel in den nächsten Jahrzenten aufzuhalten.

Ziel der Demonstration ist es, zu zeigen, dass die vergangene Politik für die jetzige Lage verantwortlich ist und zu fordern, dass spätestens jetzt erneuerbare Energien massiv ausgebaut werden, damit wir nicht einfach nur das gleiche klimaschädliche Gas bei anderen autokratischen Regimen am Persischen Golf einkaufen. Außerdem sollte die Bundesregierung mit den jetzt geforderten und wahrscheinlich auch sinnvollen Entlastungen für die Bürger sozial und ökologisch gezielt einsetzen, um nicht einfach ein weiter wie bisher, sondern einen sozial abgesicherten Wandel zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen
Dominik S.


Fußnoten

[1] Nach IPCC Definition 1850-1900, IPCC (2021): Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung. In: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen, (S. 6) (https://t1p.de/olwtt)

[2] [90 %-Intervall: 0,8 °C bis 1,3 °C], Ebd., A.1.3 (S. 6)

[3] 90%-Bandbreiten der Shared Socioeconomic Pathways, Ebd., B.1.1-B.1.3 (S. 19 f.)

[4] 1.000 Gt CO2 entsprechen dabei einer Erwärmung um 0,45 °C, Ebd. D.1.1 (S. 39 f.)

[5] BVerfG, 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. (https://t1p.de/lfjq)

[6] Kirchhof, Gregor (2022): „Intertemporale Freiheitssicherung: Klimaschutz-Sozialsysteme-Staatsverschuldung: über einen notwendigen Grundrechtsschutz in der Zeit und seine Grenzen.“

[7] BVerfG, Rn. 16

[8] IPCC (2021), Abbildung SPM.6 (S. 24)

[9] dpa-AFX, 2022: „ROUNDUP: Munich Re: Naturkatastrophen richten 280 Milliarden Dollar Schaden an“ (https://t1p.de/vnbs)

[10] IPCC (2022): „Summary for Policymakers.“ In: Impacts, Adaption and Vulnerability. Working Group II contribution to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, SPM.B.1 (S. 9 f.) und Figure SPM.2 (S. 11) (https://t1p.de/3t5q)

[11] Nach einer Studie des Roten Kreuzes, wetter.de: „410.000 Tote: Klimawandel verursacht immer mehr Naturkatastrophen“ (https://t1p.de/srs10)

[12] Siehe Untermaßverbot und Konkretisierungsprärogative, z. Bsp. BVerfG, Rn. 213

[13] Z. Bsp.: Faßbender, K (2021): „Die Verfassungsmäßigkeit der sog. 10-H-Regelung in Art. 82 BayBO: Eine Neubewertung nach dem Klima-Beschluss des BVerfG.“ NuR 43, S. 793–803 (https://t1p.de/1l8b)

[14] IPCC: „Arbeitsgruppe III: Minderung des Klimawandels“ (https://t1p.de/8iwxt)

[15] Funke-Mediengruppe: „Energie in Deutschland: Russisches Gas erst 2027 ersetzbar“ (https://t1p.de/384l9)

2 Antworten auf „Entschuldigung für die Abwesenheit vom Unterricht“

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